Vor allem unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist die Zahl der Magersüchtigen in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen. Freunde und Familienmitglieder wissen dabei oft nicht, wie sie den Betroffenen helfen sollen – vor allem, da diese oft zurückweisend auf Gespräche und Hilfsangebote reagieren.
Dennoch darf der Erkrankte nun nicht sich selbst überlassen werden. Das Ziel muss darin bestehen, ihn wieder zu einem offenen und ehrlichen Austausch mit seinen Mitmenschen zu führen. Doch wie kann das gelingen? In diesem Artikel erhalten Sie Hilfe von einer Betroffenen: Iris aus Österreich.
Magersucht: Warum sind Gespräche für die Therapie laut Iris M. aus Österreich in Chats & Co. so wichtig?
Wie genau der betroffenen Person geholfen werden kann, muss natürlich im Einzelfall entschieden werden. Regelmäßig werden aber Gesprächstherapien mit psychologischer Begleitung angewendet. Sofern diese Maßnahme nicht hilft, kann sogar der Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik erwogen werden. Dennoch würde auch dort der gemeinsame Austausch im Mittelpunkt der Hilfe stehen: Der unter der Magersucht leidende Mensch muss wieder lernen, offen und ehrlich über seine Probleme zu sprechen.
Die Kommunikation mit anderen Personen dient ihm damit einerseits als Reflexion des eigenen Verhaltens – eröffnet andererseits aber die Möglichkeit, auch neue Sichtweisen zu erhalten und somit Wege aus der Sucht zu erkennen, die vorher nicht wahrgenommen wurden oder die verschlossen zu sein schienen. Ein Konzept, das nicht innerhalb weniger Tage oder Wochen beendet werden kann, sondern das auf beiden Seiten neben dem Vertrauen auch ein hohes Maß an Geduld verlangt.
Die Magersucht: Was ist das eigentlich genau?
Das Essverhalten kann wertvolle Rückschlüsse über die Psyche eines Menschen zulassen. Ein sehr drastisches Beispiel dafür ist die Magersucht, bei der die Erkrankten ihre Nahrungsaufnahme auf ein selbst definiertes Minimum begrenzen. Von ihr wird gesprochen, wenn die Betroffenen mit ihrem Gewicht mindestens 15 Prozent unter jenem Wert liegen, der eingedenk ihres Geschlechts, ihres Alters, ihrer Größe sowie ihrer gesamten Konstitution als normal anzusehen wäre.
Abseits des Blicks auf die reinen Zahlen wirken die Erkrankten blass und neigen zu einer gelblichen, beinahe papierartigen Haut. Muskeln und Fett wurden durch die stark reduzierte Einnahme der Nahrung deutlich sichtbar abgebaut. Magersüchtige werden von ihren Mitmenschen als sehr dünn wahrgenommen. Zudem stellt sich bei ihnen eine Wesensveränderung ein: Aus einst lebhaften Personen entwickeln sich reizbare, schweigsame und ängstliche Charaktere, die sich zunehmend aus der Gesellschaft isolieren – zwischenmenschliche Beziehungen werden immer seltener gepflegt.
Worin liegen die Gründe für die Essstörung?
Warum die Nahrungsaufnahme immer weiter eingeschränkt wird, ist durch die Wissenschaft noch nicht abschließend erforscht worden. Dennoch deutet vieles darauf hin, dass die Ursachen einerseits im Charakter der Betroffenen liegen – sie gelten als perfektionistisch, wollen ihren Mitmenschen ein idealer Freund sein sowie auf der Arbeit nur beste Ergebnisse erlangen. Andererseits können soziale Auslöser in Betracht kommen: So etwa ein absurdes Schönheitsideal, das vorwiegend auf schlanke Körper abstellt.
Ebenso lassen sich genetische Vorbedingungen bei den unter der Magersucht Leidenden nicht ausschließen. Besonders häufig tritt die Krankheit bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf, Frauen sind davon stärker als Männer betroffen. Der Weg in die Sucht erfolgt oft schleichend und ist daher für Freunde und Familienmitglieder nur schwer zu erkennen. Zumal die Betroffenen die Veränderungen in ihrem Verhalten weitgehend verschweigen – die am Essenstisch normal aufgenommene Ernährung wird anschließend auf der Toilette wieder erbrochen.
Wie können erste Schritte aus dem Suchtverhalten gelingen?
Mitmenschen werden durch die Betroffenen zunehmend auf Distanz gehalten. Es fällt beiden Seiten folglich nicht ganz leicht, Gespräche miteinander zu führen, über Probleme zu reden oder Hilfe anzubieten. Falsch wäre es nun allerdings, einen allzu großen Druck auf die erkrankte Person auszuüben, sie vielleicht sogar zur Nahrungsaufnahme zu zwingen. Ebenso sollten Konfrontationen und Vorwürfe vermieden werden. Demgegenüber ist es aber ratsam, überhaupt in den gemeinsamen Austausch zu gelangen.
Denn erst so lässt sich dem Magersüchtigen mitteilen, dass sich sein Verhalten verändert hat und dass es Möglichkeiten gibt, ihn bei der Lösung seiner Probleme zu unterstützen. Der Erkrankte wird dabei ein gutes Stück aus seiner Isolation herausgenommen und wieder in den Kreis der Familie und Freunde geführt – ein Vorgehen, das auf gegenseitigem Vertrauen beruht und daher nur sehr behutsam absolviert werden sollte.
Chatgruppen, Telefon & Mail: Wie können therapiebegleitende Maßnahmen aussehen?
Wichtig ist es bei alledem, den Psychologen nicht alleine mit seiner Arbeit zu lassen. Vielmehr muss der Erkrankte die Möglichkeit erhalten, seine aufgefrischten kommunikativen Fähigkeiten anzuwenden. Chatgruppen, der Austausch per Telefon und Mail, das Schreiben von Tagebucheinträgen und Kurzgeschichten oder das Ausleben künstlerischer Neigungen nehmen dabei eine zentrale Rolle ein. Immer wieder sind es die vorsichtigen Nachfragen nach dem Befinden des Betroffenen, die ein Gespräch mit ihm einleiten.
Der rote Faden der Kommunikation wird dabei nie aufgegeben. Der langsam mahlenden Mühle gleich kommt allmählich eine Aussprache in Gang, die immer mehr Einblicke in die Probleme, die Psyche und das Unterbewusstsein der erkrankten Person bietet. Das wiederum ist die Basis, um konkrete Hilfsangebote zu formulieren. Im Gegenzug wird sich der Magersüchtige zunehmend wohler in dem Gespräch fühlen, sich weiter als zuvor öffnen – und bald auch dankbar für jede Form der Unterstützung sein.
Welche Fehler sollten in der Kommunikation vermieden werden?
Allerdings ist es für den erfolgreichen Austausch nicht alleine wichtig, dass er überhaupt geführt wird. Vielmehr lohnt es sich, ihn von Anfang an in richtige Bahnen zu lenken. Dabei gilt es, Anschuldigungen zu vermeiden. Der Betroffene darf nicht das Gefühl haben, hier würde über ihn geurteilt. Er muss sich dagegen als Teil eines lösungsorientierten Gespräches begreifen.
Je mehr Freunde und Familienmitglieder authentisch über ihre Sorgen reden, die aus dem Verhalten des Erkrankten hervorgehen, desto mehr gelingt es ihm wieder, sich in das Denken und Fühlen seiner Mitmenschen hineinzuversetzen – das kann der Anfang sein, um die eigene Isolation zu verlassen. Daneben muss versucht werden, die helfende Hand deutlich erkennbar auszustrecken. Und es vor allem nicht persönlich zu nehmen, wenn viele Angebote der Unterstützung in den ersten Wochen zurückgewiesen werden. Der Weg der Heilung ist lang und beschwerlich. Aber alternativlos.